Montag, Oktober 09, 2006

Der Help Desk und die dritte Escalation

Ich arbeite beim KONE Help Desk. KONE ist eine finnische Firma die Fahrstühle und so etwas herstellt. Für ihre Computer bekommen sie seit einiger Zeit Hilfe von Hewlett-Packard. Wenn ein KONE-Mitarbeiter Probleme mit seinem Computer hat ruft er bei seinem Help Desk an und landet bei uns. Es gibt bei uns vier Franzosen und jeweils drei Italiener, Spanier, Belgier und Deutsche. Alle sitzen wir in einem großen, modernen Bürogebäude im Süden Dublins.


Wenn bei uns jemand von KONE anruft, melden wir uns mit “Willkommen beim IT Help Desk!”, dann sagen wir unseren Namen und “Was kann ich für sie tun?”. Als nächstes eröffnen wir ein Ticket für den Kunden, hören uns sein Problem an, notieren das Wichtigste gleichzeitig in das Ticket und denken darüber nach, wie wir dem Kunden helfen können. Wenn es nötig ist, können wir via Remote Control auf des Kunden Computer schauen und Einstellungen vornehmen.


Ein normaler Anruf soll nicht mehr als zehn Minuten dauern. Kompliziertere Anrufe dauern schon mal mehr als eine halbe Stunde. Kunden denen wir nicht weiterhelfen können, weil ihre Hardware kaputt ist, die Probleme spezielle Software betreffen oder sie Hilfe vor Ort benötigen, wir nennen das Onsite Troubleshooting oder Hands&Eye, werden an andere Teams weitergeleitet.


Wenn ein Anliegen, wir vermeiden das Wort Problem und sollen Anliegen sagen, gelöst ist, rufen wir den Kunden noch einmal zurück und fragen, ob alles zu seiner Zufriedenheit gelöst wurde.


Am leichtesten sind Anrufer, die sich ausgeloggt haben. Bei denen müssen wir nur den Account zurück setzen. Am wenigsten mag ich Druckerprobleme. Die sehen eigentlich leicht aus, dauern aber immer Ewigkeiten. Den Druckertreiber musst du erst im KONE-Netzwerk suchen und die Installation klappt dann doch nicht gleich.


Die ersten Wochen hatten wir nicht viel zu tun. Wir hatten nur Österreich und die Deutschsprachigen aus der Schweiz. Ab und zu rief noch mal einer aus Belgien an, der deutsch konnte. Die meiste Zeit durchstöberten wir das Internet, kannte die besten YouTube Videos, schrieben Unmengen an Emails nach Hause und langweilten uns. Es ist schwierig den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen und nichts zu tun zu haben. Ich nahm mir dann noch ein paar Trainingskurse über Netzwerke und Mircosoft-Programme vor.


Dann kam Deutschland. In Deutschland arbeiten so ungefähr tausend KONE Mitarbeiter, viel mehr als in Österreich und der Schweiz. Und alle riefen sie an. Wir waren überlastet.


Eigentlich ging die Anzahl der Anrufe anfangs noch, wenn wir nur Ahnung gehabt hätten, was wir tun sollen. Keiner wusste, wie das alles organisiert ist, wo Treiber liegen, wo welche Server liegen, was bitteschön Konect 2 ist oder was die Kunden bloß mit Mimikry anfangen.


Die Anrufe wurden immer mehr. Es schien, als hätten alle deutschen KONE Mitarbeiter nur darauf gewartet endlich einen Help Desk zu haben und bei uns anrufen zu können. Die Tickets auf meinem Bildschirm wurden immer mehr. Hatten wir mit Österreich und Schweiz so um die fünf Tickets offen, so wuchsen unsere Listen stetig. Unter Zwanzig war ich seit dem nicht mehr. Die Beschwerden der Kunden nahmen zu.



Die erste Escalation


Irgendwann, nach ein paar Tagen Deutschland kam dann Guillaume, einer unserer Chefs, die genaue Bezeichnung kann ich mir nicht merken; wir haben verschiedene Chefs und ich sehe da nicht durch; ich mache immer einfach, was mir gesagt wird; jedenfalls kam er auf uns zu und meinte KONE hätte eine Escalation ausgelöst; das muss so im Juli gewesen sein. Eine Escalation kann vom Kunden ausgelöst werden, wenn er unzufrieden mit uns ist, beispielsweise, wenn wir zu viele offene Tickets haben. Wir hatten zu viele offene Tickets. Unsere Chefs müssen dann für jedes einzelne Ticket erläutern, warum es noch nicht geschlossen werden konnte, warum es so lange dauert. Das ist eine Menge Arbeit.


Unsere Chefs sind immer freundlich zu uns gewesen, haben uns wirklich gut behandelt und auch nach der ersten Escalation blieben sie freundlich. “Wir wissen, es ist schwierig, aber könnt ihr nicht ein wenig schneller arbeiten?”, sagten sie und “Wenn ihr Fragen habt, könnt ihr immer zu uns kommen.” und lächelten vertrauenserweckend.



Die zweite Escalation


Es ändert sich aber nichts und so kam die zweite Escalation von KONE. Nun waren unsere Chefs etwas strenger mit uns. Aber man muss sie auch verstehen, sie haben wirklich viel Verantwortung und KONE, der Kunde, ist nicht zufrieden. Der Kunde steht doch ganz oben. Wenn der Kunde nicht befriedigt wird, ist das schlecht. Das erzeugt Stress bei den Chefs.


Die Chefs schimpften mit uns. “Ihr müsst euch mehr anstrengen.” und “So was darf jetzt nicht noch einmal passieren.” oder “Der Kunde steht doch ganz oben”.


Die Arbeit begann jetzt wirklich anstrengend zu werden und ich glaube jeder von uns dachte schon daran sich nach einem anderen Job umzuschauen.


Die Liste mit unseren offenen Tickets wurde immer länger. Allein meine kletterten auf über fünfzig.


Die Chefs wurden immer gestresster. Sie haben ja auch Chefs und diese wiederum verhandeln mit den KONE Chefs und die KONE Chefs sagten nicht viel gutes. Einer, Matteo, ein früher ausgeglichener Italiener, bekam solche Gesichtszuckungen, immer wenn er mit uns sprach. Er war jetzt nur noch schwer zu verstehen, hatte er doch auch noch seinen Akzent. Guillaumes Schultern hingen herab, sein Kopf gesenkt. So schlich er um unsere Schreibtische, nur mehr ein Schatten seiner selbst.



Die dritte Escalation



Diese Zeile schreibe ich heimlich. Es ist uns nunmehr verboten mit anderen Menschen von draußen zu sprechen, als mit KONE-Mitarbeitern. Meine Email werden gescannt und aussortiert, aber von meinem Blog haben sie noch nichts mitbekommen.


Seit drei Wochen nun habe ich nicht mehr das Gebäude verlassen. Eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Das Leben ist gerade zu einfach geworden. Ich muss mich um nichts mehr kümmern, alles besorgen andere für mich. Ich bekomme Essen aus der Kantine, das ist sogar ganz gut, mit viel Obst. Ich werde morgens geweckt. Kaffee gibt es im Büro selbst. Einer unserer Chefs ist immer da. Und wir haben ein Gym , so ein Fitnessstudio, im Haus. Da bin ich eh vorher schon hingegangen. Da gibt es diese Rudermaschine, die ich so mag. Und wenn ich ehrlich bin, so wäre ich doch nie aus Dublin rausbekommen, um mal in echtem Wasser zu rudern. Warum sich also aufregen? Duschen sind auch im Gym und Toiletten gibt es überall im Gebäude.


Aber ich muss zugeben, die ersten Tage war es schwer. Am ersten Abend, als wir merkten, dass uns der Sicherheitsdienst die Genehmigung für die meisten Türen im Haus entzogen hatte, wir also nicht mehr raus kamen, und uns unsere Chefs die Situation erklärt hatten, gab es ein paar Nervenzusammenbrüche.


Auch musste ich mich erst daran gewöhnen auf dem Boden im Büro unter dem Schreibtisch zu schlafen. Wie ich aber schnell merkte, war das kein großer Unterschied zu meiner alten Wohnung in Berlin. Hier war es sogar wärmer. Und nach den ersten kalten Nächten, bekamen wir warme Decken.


Aber ständig sind Leute um dich rum. Nicht bloß, dass die Chefs immer gucken und überall Kameras hängen, die anderen sind auch alle da, nicht weit von dir, der katholische Gideon, der junge Harald, die ständig quasselnden Italiener und Spanier, der ehemalige Bauarbeiter aus Belgien, mit seiner einschüchternen Art. Alle sind sie ständig um einen herum. Niemals Zeit hast du Zeit für dich. Das war schwer, nicht bloß für mich.


Die ersten Tage hörte man nachts leises Wimmern im Raum. Die Leute wurden apathisch und sprachen nur noch wenig. Das normalisierte sich aber wieder und nach einer Woche ging es den meisten wieder gut.


Wir organisierten auch unser soziales Leben. Am Abend kochen wir in der Kantine, müssen wir ja auch, ist ja niemand von der regulären Belegschaft mehr da, und sitzen dann gemeinsam und essen. Mein Englisch ist dadurch schon viel besser geworden. Ab und zu dürfen wir auch ein Film schauen, aber nur bestimmte. Die werden vorher von unseren Chefs ausgesucht. Nichts was uns zu sehr aufregt oder uns auf falsche Gedanken bringt.


Und ich hab aufgehört zu rauchen. Das war gar nicht so schwierig. Meine Chefs gaben mir einfach keinen Tabak mehr.


Jeden Sonntag veranstaltet Gideon einen Gottesdienst auf Englisch und ließt uns aus der Bibel vor. Das Leib und das Blut Christ wurde durch Kaffee und Schokoriegel vom Automaten ersetzt.


Ja was soll ich noch sagen. Mir gefällt es jetzt hier drin. Den meisten anderen auch. Wir reden aber nicht viel drüber. Kone ist jetzt zufrieden mit uns. Meine Tickets kommen nicht mehr über zehn. Wir können uns einfach mehr auf die Arbeit konzentrieren, werden nicht mehr so viel abgelenkt.


Neulich hat mir Guillaume gesagt, wenn das weiter so mit mir geht, kann ich demnächst auch Chef werden. Stellt euch vor, ich als Chef!


Ich will aber auch nicht den einen Unfall verschweigen den wir hatten. Ein Italiener, Antonio, ist aus dem Fenster gesprungen. Antonio konnte sich einfach nicht anpassen. Jetzt brauchen wir einen neuen. Kann denn nicht einer von euch italienisch? Ich bekomm 500€ für eine erfolgreiche Bewerbung.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

hallo kristian,

wenn sie e-mails scannen dann sollten sie auch euren bildschirm im auge behalten können. dass sie deinen blog nicht kennen, glaub ich nicht. wahrscheinlich juckt es sie unwahrscheinlich in den fingern, auch mal einen kommentar abzugeben, sowas wie: "lange, lange geht das nicht mehr gut" oder so.

alles in allem fand ich den beitrag schön, aber ich denke, dass du etwas zu dick aufgetragen hast.

oder?
eppi ;-)

21:39  
Anonymous Anonym said...

hi kristian,

kenn ich alles:
"hi mutti, allet schick, ick bin hier produktmanager und alle zwee wochen krieg ick mehr jeld. weeß ja nich wohin damit."
in wahrheit clochard - hat nur keine lust, der mutti in d. wahrheit zu beichten.

also: was ist dran am eingesperrtsein im büro?

eppi ;-)

01:20  

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