Sonntag, Dezember 16, 2007

Der kleine Bahnhof in Houston


Aufgewacht finde ich ein kleine Kinderwanze auf meinem Bettlaken, rund und gesund anzuschauen. Ich zerdruecke sie und Blut spritz heraus, wahrscheinlich mein eigenes. Mein Zug faehrt erst am naechsten Tag, morgens. Ich habe die Wahl zwischen noch einem Tag in diesem Hostel oder auf dem Bahnhof schlafen. Ich entscheide mich fuer das kleinere Uebel, den Bahnhof. So spare ich auch Geld. Ich packe meine Sachen, schuettele sie aber vorher alle gruendlich aus, um keine Wanzen mitzuschleppen.

Am Abend gehe ich zum Houstoner Bahnhof. Houston ist immerhin die viert groesste Stadt der USA. Der Bahnhof ist aber ziemlich klein, besteht nur aus einem Raum mit ein paar Holzsitzbaenken, einem Schalter, Toiletten. Frueher in der Zeit der Eisenbahn gab es auch einen groesseren. Der wurde aber eingespart, abgerissen und durch diesen Zweckbau ersetzt. Grossartige Bahnhoefe habe ich aber schon in San Francisco, LA und vor allem Chicago gesehen. Die Eisenbahn und Amtrak, als der einzigste landesweite Lieferant, ist, obwohl so ein wichtiger Teil der amerikanischen Geschichte, kurz vor dem Aussterben.

Um zum Bahnhof zu kommen, muss ich ein gutes Stueck durch eine dunkle Gegend laufen, mit Lagerhaeusern, leeren Parkplaetzen und verlassenen Strassen. Nicht weit entfernt sehe ich noch die alles ueberragenden, beleuchteten Hochhaeuser Downtowns.

Ich sitze unter dem Bahnhofsvordach. Der Bahnhof ist in dieser Nacht geschlossen. Warum sollte er auch offen haben, der erste und einzigste Zug des Tages kommt erst gegen 5 Uhr. Ich setze mich auf eine leuchtend blau lackierte Holzbank mit Aussicht auf einen Parkplatz. Neben mir haengt ein Muenztelefon an der Wand. Ich Esse etwas von dem, was ich mir im spanischen Supermarkt Fiesta gekauft hatte. Broetchen, Aepfel, Bananen, Salami, Pringels. Eine schwarze, abgemagerte Katze gesellt sich zu mir. Sie bekommt etwas von der Salami.

Ein Mann kommt auf mich zu, geht ueber den Parkplatz, farbig, schmutzig. Er fragt, ob ich auf den Zug warte. Er moechte eine Zigarette. Ich denke es ist besser hier einen Freund als einen Feind zu haben und gebe ihm eine. Nun will er, mit Blick auf meine Fiestatuete etwas zu essen. Er bekommt einen Apfel und ein Broetchen. Er erklaert mir in einem nuschelnden Englisch, dass ich eigentlich kaum verstehe, er waere Diabetiker und koenne das Broetchen nicht essen. Er verlangt nun, drei Quarter fuer etwas zu trinken. Ich gebe. Er erklaert mir, er wuerde sich ja schliesslich auch um den Platz hier kuemmern, sauber halten und so. Wahrscheinlich hat er recht. In seiner Welt ist das hier so etwas wie sein Platz und ich bin ein Benutzer, ein Mieter und muss natuerlich Miete zahlen. Er verschwindet hinter dem Bahnhofsgebaeude.

Ich entspanne mich langsam. Das ist hier schliesslich der offizielle Bahnhof von Houston, einer Stadt in der zivilisierten Welt, der Stadt von George Bush. Ich kann auch jederzeit von dem Telefon neben mir 911 anrufen.

Mir faellt ein schwarze Limosine mit getoenten Scheiben auf. Sie faehrt langsam auf den Bahnhof, haelt fuer vielleicht eine halbe Stunde, und verschwindet wieder genauso langsam, ohne dass jemand ausgestiegen waere oder irgendetwas passiert waere. Das passiert mehrmals hintereinander. Schwarze Limo kommt, parkt, faehrt weg, kommt wieder. Ich bin verunsichert. Was will so ein Reichoschlitten in dieser heruntergekommenen Gegend? Nach ein Weile lege ich mir eine beruhigende Theorie zurecht. Houston ist eine konservative Stadt. Bordelle duerften es hier ziemlich schwer haben. Warum nicht eine Prostituierte mit einem Chaufeur in eine Limosine setzen. Die Freier rufen bei der Begleitagentur an, die Limo holt ihn ab, faehrt auf einen abgelegenen Parkplatz, z.B. den vor den Bahnhof, das Geschaeftliche wird erledigt, nach einer halben Stunde wird der befriedigte Mann zu Hause, beim Buero oder wo auch immer abgestzt und der naechste nach Erloesung strebende Mann kann abgeholt werden.

Es beginnt fein zu nieseln. Ich hole meinen Schlafsack heraus, lege mich auf die Bank und doese vor mich hin. Meine Brille behalte ich auf. Gegen zwei Uhr kommt der schmutzige Farbige noch einmal vorbei. Er verlangt wieder etwas zu essen und eine Zigarette, bekommt es, will sich anscheinend unterhalten, ich habe aber keine Lust. Gegen vier Uhr wird der Bahnhof von einer aelteren Dame aufgeschlossen.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

mensch, und ich dachte, es wird dramatisch, mit kampf und schuss-waffen und so: " und dann, als der fremde dir das messer bereits an die kehle gesetzt hat, weil er vom brötchen ständig aufstoßen muss, öffnet sich das fenster der limousine und george bush himself gibt den tödlichen schuss ab, um den deutschen bahnhofstouristen zu retten." hätte auch n happy end.

jim jarmusch

20:25  

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